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#12 Ein Spaziergang, zwei Welten

Es war ein sonniger Samstagnachmittag, als Karl und Peter beschlossen, gemeinsam einen Spaziergang durch den Wald zu machen.

Der Himmel war strahlend blau, die Luft frisch, und irgendwo in der Ferne zwitscherte eine Amsel.

Sie gingen denselben Weg, atmeten dieselbe Luft, hörten dieselben Vögel – und erlebten doch zwei völlig verschiedene Geschichten.

Schon nach den ersten Schritten runzelte Karl die Stirn. „Schau dir diesen Weg an! Voller Schlaglöcher. Wenn man da nicht aufpasst, knickt man sich den Fuß um. Und diese Mücken… die haben’s heute auf mich abgesehen.“

Peter lächelte: „Und schau mal – wie die Sonne durch die Blätter fällt. Das sieht aus wie ein grünes Glasfenster. Wenn ich eine Kamera hätte, würde ich das sofort festhalten.“


Sie kamen an einer kleinen Lichtung vorbei. „Puh, diese Steigung macht mich fertig“, japste Karl und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Peter blieb kurz stehen, schloss die Augen und atmete tief ein. „Riechst du das? Frischer Fichtenduft. Das ist besser als jedes Parfum – und gratis.“

Plötzlich raschelte es im Gebüsch. „Wahrscheinlich ein wildes Tier, das uns anspringt“, murmelte Karl, während er unauffällig nach einem Stock griff. Peter ging näher, beugte sich vor und grinste: „Nur ein Eichhörnchen – schau, wie es die Nuss festhält. Sieht aus, als würde es einen Kellnerjob in einem winzigen Eichhörnchen-Restaurant haben.“


Ein paar Meter weiter stolperte Karl über eine Wurzel.„Typisch! Dieser Wald ist eine einzige Stolperfalle.“Peter zeigte auf eine kleine Schnecke, die gerade seelenruhig über den Weg kroch. „Schau mal – die Schnecke hat’s eilig. Für ihre Verhältnisse.“

Dann kam ein schlammiger Abschnitt. Karl trat mitten hinein, sah an sich herunter und schnaubte: „Super. Jetzt sind meine Schuhe ruiniert.“

Peter kniete sich hin und betrachtete eine Gruppe winziger Pilze am Wegrand. „Siehst du die? Die sehen aus wie kleine Regenschirme für Ameisen. Wenn’s gleich anfängt zu regnen, sind die bestens vorbereitet.“


Nach einer Stunde kamen sie wieder aus dem Wald heraus. Am Abend, zurück im Dorf, fragte ein Nachbar: „Na, wie war euer Spaziergang?“

Karl seufzte: „Anstrengend, voller Mücken, Schlaglöcher, Schlamm und Gefahren. Ich versteh nicht, was daran entspannend sein soll.“


Peter hingegen strahlte: „Herrlich! Sonnenschein, frischer Duft, ein Eichhörnchen, Pilze, und sogar eine Schnecke mit einem ordentlichen Arbeitstempo. Ich hätte ewig so weiterlaufen können.“

Der Wald war derselbe. Nur der Blick, durch den sie ihn gesehen hatten, war ein völlig anderer.

 
 
 

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